19.10.2017

Josef Váchal – Der blutige Roman

Versuch eines Typus des idealen Schundromans

Erstübersetzung ins Deutsche von Ondřej Cikán

mit allen Originalholzschnitten von Josef Váchal
im ursprünglichen Seitenumbruch
mit spaßigem Kommentar


Ein idealer Schundroman muss offenbar so verrückt wie möglich sein. Endlich gibt es dieses Standardwerk der hoch-tiefen Schundliteratur auch auf Deutsch. Es fehlen weder Piraten noch Verschwörungen noch Jesuiten noch Schweizer Käse noch böse Antialkoholiker. Unzählige Handlungsstränge sind flott miteinander verwoben, und jede Zeile birgt eine Überraschung. 

Stil und Inhalt sind von den Schundromanen des 18. und 19. Jahrhunderts inspiriert. Diese Mischung aus Archaik und den literarischen Errungenschaften der Moderne ist eng mit der Prosa des österreichischen Schriftstellers H.C. Artmann verwandt, der allerdings bei Erscheinen Des Blutigen Romans gerade einmal drei Jahre alt war.


Seinen Blutigen Roman hat Josef Váchal im Jahr 1924 ohne Manuskript direkt gesetzt und in einer Auflage von nur 17 Stück gedruckt, und zwar wie die meisten seiner Bücher als Gesamtkunstwerk. 1970 wurde das Buch in hoher Auflage als Faksimile nachgedruckt und erlangte auf Anhieb Kultstatus, obwohl es auf Anhieb wieder verboten wurde. Sofort nach der Wende 1989 wurde der Verlag Paseka gegründet, der nach einer der Hauptpersonen Des blutigen Romans benannt ist. Es ist naheliegend, was seine erste Publikation war. Der Roman wurde zweimal verfilmt, zuerst von Ladislav Horáček, dem Gründer des Verlags Paseka, und dann noch einmal 1993 von Jaroslav Brabec. Die Holzschnitte des Romans zieren als Sgraffiti die Josef-Váchal-Gasse in Leitomischl (Litomyšl). In dieser Stadt  befindet sich auch jetzige Váchal-Museum Portmoneum, von dem schon im Blutigen Roman die Rede ist.


Josef Váchal (1884 in Milavčice – 1969 in Studeňany) war Graphiker, Maler, Schnitzer, Schriftsteller und Drucker, aber nicht nur. Sein Werk ist beinahe unüberschaubar vielfältig, ja unendlich. Die meisten seiner Bücher druckte er in bibliophilen Niedrigstauflagen selbst. Dabei verband er stets Wort und Graphik, indem er zum Teil eigene Lettern goss oder schnitzte und zum Teil eine sehr archaische Rechtschreibung anwandte. Als bildender Künstler widmete er sich nacheinander und gleichzeitig allen möglichen Richtungen vom Jugendstil über den Expressionismus, von surrealistisch anmutenden bis zu abstrakten Kompositionen. In seiner Jugend war er von katholischem Mystizismus geprägt, später wandte er sich dem Okkultismus zu. Im Jahr 1939 übersiedelte er aus Prag auf den Bauernhof seiner Geliebten, der Künstlerin Anna Macková. Dort blieb er mit ihr sein restliches Leben lang. Wenige Tage vor seinem Tod und wenige Monate bevor die Zensur nach dem unterdrückten Prager Frühling in Fahrt kam, wurde er von der tschechoslowakischen Regierung für sein Lebenswerk geehrt. 


Das Kētos verlegt dieses Buch im Rahmen seines Schwerpunkts auf poetisch-schundige Prosa und tschechische Literatur. Die anderen beiden, verwandten Prosawerke im Programm des Kētos sind Daphnis und Chloë von Longos (wobei diese zwei Helden auch im Blutigen Roman einen kleinen Auftritt haben) und Valerie und die Woche der Wunder von Vítězslav Nezval. Nicht unverwandt ist ebenfalls das in der Ausgabe Mumie auf Reisen enthaltene, gleichnamige Epos von J.H. Krchovský.


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Gefördert durch das Kulturministerium der Tschechischen Republik.
Ausgezeichnet durch eine Übersetzungsprämie des BMKÖS.

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Josef Váchal: Der blutige Roman
(Krvavý román, 1924 – letzter Nachdruck Paseka 2011)
mit allen Originalillustrationen des Autors
übersetzt und kommentiert von Ondřej Cikán
März 2019 / Kētos Band 5
464 Seiten
Hardcover mit Fadenbindung und zwei Lesebändchen
EUR 25 / CZK 490 (bis 28.2. 2023)
EUR 30 / CZK 520 (ab 1.3. 2023)

ISBN: 978-3-903124-03-5


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Leseprobe (Rechtschreibung und Satz ahmen das Original nach):

   Auf des Meeres Wellen schunkelt stolz ein Schiff.

   Es ist die „Albatrus,“ das schnellste Schiff der Welt.
   Gestern ist sie von New Orleans aus in See gestochen, heute schon naht sie Venedig und bringt dem dortigen Dogen eine Ladung schwarzer Sklaven, auf daß er sie unter den venezianischen Bleidächern einkerkern lasse.
   Auch bringt sie mit sich einen Vorrat an Wein.
   Dieses Schiff gehört dem spanischen Kardinal aus Toledo, Torquato beim Namen.
   Der Befehlshaber des Schiffes heißt Rodriguez.
   Gerade steht er auf der Commandobrücke und besieht einen in der Ferne anwachsenden Punkt.
   Sein Blick täuscht ihn mitnichten, es ist ein Piratenschiff.
   Es segelt mit voller Geschwindigkeit der Albatrus nach.
   Spätestens in einer Stunde muß es sie eingeholt haben.
   Es herrscht absolute Windstille.
   Die Albatrus vermochte sich nicht von der Stelle zu bewegen.
   Fünfhundert Sklaven mühten sich vergebens, das Schiff mithilfe von starkem Blasen ein wenig von der Stelle zu schieben.
   Vergebens tobte Rodriguez und seine Soldaten droschen die Sklaven mit Peitschen umsonst: die Segel blähten sich nicht mehr und das Schiff blieb stehen.
   Das feindliche Schiff näherte sich stetig.
   Es schien, als diente den Piraten in dieser Windstille der Deibel selbst, da sie so schnell einhersegelten.
   Das Korsarenschiff hatte sich bereits so angenähert, daß auf seinen Segeln leicht das Zeichen der Meeresräuber zu erkennen war: der Kopf eines Todten und überkreuzete Gebeine.
   Es war ein Viermaster und fuhr mit Volldampf auf sie zu.
   Der Wind, der von ihm ausging, brachte vom Korsarenschiffe Ausdünstungen von Rum und Schnäpsen daher, mit denen die Piraten sich besoffen hatten, um Mut zu schöpfen für den nahenden Kampf.
   Als Rodriguez das beobachtete, begann er an die Verteidigung zu denken.
   Sintemal aufgrund der aufgekommenen Windstille nicht die geringste Hoffnung auf Flucht vor den Piraten bestand, blieb nichts anderes übrig, als mit den Korsaren sich im Kampfe einzulassen.